Der Currywurst-Vorfall

Beinahe hätte es mich nie gegeben. Und schuld daran war eine Currywurst.

In Bochum gibt es das traditionsreiche Lichtspielhaus »Uniontheater«. Irgendwann in den Siebzigern wurde das in mehrere, zum Teil nur schuhkartongroße Mini-Kinos aufgeteilt und eigentlich müsste man die Geschichte erzählen, wie ich in einem davon Geschlechtsverkehr hatte - dummerweise ist das nie passiert. Dass ich hier betrunken den vierten Film der Star-Trek-Reihe gesehen und viel zu laut gelacht habe, sodass mich andere Zuschauer rausschmeißen wollten - das ist wiederum nicht ganz so weit an der Wahrheit vorbei.

Mit dem Uniontheater gleichsam untrennbar verbunden ist die legendäre Dönninghaus-Currywurstbude, an der es Mitte der Sechzigerjahre beinahe zu einem Zerwürfnis gekommen wäre, das meine ganze Existenz unmöglich gemacht hätte, im wahrsten Sinne des Wortes.

Im Laufe des Jahres 1964 hatten sich meine Eltern in der Tanzschule Bobby Linden kennengelernt. Die Tanzschule warb damals angeblich auf Bochumer Straßenbahnen mit dem Slogan »Tanz mit B. Linden!« Was von weitem allerdings aussah wie »Tanz mit Blinden«.

Mein späterer Vater lud meine zukünftige Mutter nach einer Phase des Anstands in ein Café zu Kaffee und Kuchen ein. Man plauderte und fand sich gegenseitig hinreichend nett. Doch als es ans Bezahlen ging, hatte mein Vater angeblich kein Geld dabei, sodass meine Mutter einspringen musste. Die Geschlechterverhältnisse waren noch nicht in jene Phase eingetreten, in der es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass die Frau den Mann einlädt, also war meine Mutter nicht sonderlich amüsiert. Mein Vater entschuldigte sich und gelobte Besserung.

Vor dem Café verabschiedete man sich und stellte gegenseitig ein weiteres Treffen in Aussicht. Meine Mutter machte noch ein paar Besorgungen, kam irgendwann am Uniontheater vorbei - und traute ihren Augen nicht: Der gutaussehende Mann in dem dunklen Anzug, der vorhin behauptet hatte, keinen Pfennig in der Tasche zu haben, vertilgte mit großem Genuss eine Currywurst extra scharf. Meine Mutter stellte ihn zur Rede, es kam zu einem Wortgefecht, in dessen Verlauf mein Vater ziemlich kleinlaut wurde. Noch zwanzig Jahre später, wenn es auf Familienfeiern etwas lockerer wurde, holte meine Mutter diese Geschichte hervor, um meinen Vater in die Defensive zu bringen - etwa wenn es darum ging, wer fahren musste und wer noch was trinken durfte.

Was meine Mutter dazu bewogen hat, diesen Fauxpax meines Vaters wegzustecken, kann ich nur vermuten. Vielleicht fand sie es für eine spätere Verbindung hilfreich, immer ein bisschen was gegen ihn in der Hand zu haben. Was meinen Vater da geritten hat, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht wollte er mit Investitionen erst mal vorsichtig sein, bevor er wusste, welche Dividende sie brächten. Ein gewisser Pragmatismus war immer eine ausgeprägte Eigenschaft unserer Sippe.

Übrigens trafen sich die beiden in den folgenden Wochen ziemlich oft und besuchten auch diverse Male das Uniontheater. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich meine Existenz nicht der letzten Reihe verdanke. Wie ich anderenorts schon mal ausgeführt habe, nannte mein Vater mich nie ein »Kinokind«, sondern immer ein »Haldenkind«. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

 

Radio Heimat
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
Radio Heimat_split_000.html
Radio Heimat_split_001.html
Radio Heimat_split_002.html
Radio Heimat_split_003.html
Radio Heimat_split_004.html
Radio Heimat_split_005.html
Radio Heimat_split_006.html
Radio Heimat_split_007.html
Radio Heimat_split_008.html
Radio Heimat_split_009.html
Radio Heimat_split_010.html
Radio Heimat_split_011.html
Radio Heimat_split_012.html
Radio Heimat_split_013.html
Radio Heimat_split_014.html
Radio Heimat_split_015.html
Radio Heimat_split_016.html
Radio Heimat_split_017.html
Radio Heimat_split_018.html
Radio Heimat_split_019.html
Radio Heimat_split_020.html
Radio Heimat_split_021.html
Radio Heimat_split_022.html
Radio Heimat_split_023.html
Radio Heimat_split_024.html
Radio Heimat_split_025.html
Radio Heimat_split_026.html
Radio Heimat_split_027.html
Radio Heimat_split_028.html
Radio Heimat_split_029.html
Radio Heimat_split_030.html
Radio Heimat_split_031.html
Radio Heimat_split_032.html
Radio Heimat_split_033.html
Radio Heimat_split_034.html
Radio Heimat_split_035.html
Radio Heimat_split_036.html
Radio Heimat_split_037.html
Radio Heimat_split_038.html
Radio Heimat_split_039.html
Radio Heimat_split_040.html
Radio Heimat_split_041.html
Radio Heimat_split_042.html
Radio Heimat_split_043.html
Radio Heimat_split_044.html
Radio Heimat_split_045.html
Radio Heimat_split_046.html
Radio Heimat_split_047.html
Radio Heimat_split_048.html
Radio Heimat_split_049.html
Radio Heimat_split_050.html
Radio Heimat_split_051.html
Radio Heimat_split_052.html
Radio Heimat_split_053.html